Behandlungsfehler was kann man tun?

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Buch Sina Ärztepfusch

ISBN: 3800070146 Ueberreuter Verlag

Das Buch beinhaltet u.a.Sina Mareens Schicksaal

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Katze
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Tod beim Zahnarzt

Die dreijährige Sina starb nach einer einfachen Zahnoperation. Laut Gutachten war das Narkotikum verseucht. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt gegen den Anästhesisten

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von Julia Winkenbach

Sina hat ihr Prinzessinnenkleid bekommen. Blau sollte es sein - nicht rosa, wie das eine, das sie schon hat. Ihre Mutter hat es extra anfertigen lassen, denn das war das Letzte, was ihre sterbende Tochter zu ihr gesagt hat: „Mama, du hast das blaue Prinzessinnenkleid noch nicht gekauft." Ein paar Stunden später war die Dreijährige tot. Ihr kleiner Körper hat den Kampf gegen die Bakterien verloren, die ihr ein Anästhesist laut Gutachten durch „pflichtwidrige, wiederholte Verwendung (...) mit kontaminiertem Narkosemittel" ins Blut gespritzt haben soll. Das Kleid trägt Sina in ihrem Sarg, zusammen mit einem Krönchen.

„Es gab kein Kind, das weniger ängstlich war," sagt Sinas Mutter Claudia Höfner, 30. Die blasse Frau hat die gleichen großen, braunen Augen wie ihre Tochter. „Sie hat sich auf ihre neuen Zähne gefreut." Am 23. Oktober letzten Jahres hatte Sina einen Termin bei der Zahnärztin Brigitte F.* in Bad Mergentheim nahe Würzburg. Ihre Schneidezähne sollten wegen Kariesbefall herausgenommen und eine Brücke eingesetzt werden. Unter Vollnarkose.

Um 14.30 Uhr setzt der Anästhesist Jan H.* Sina eine Spritze mit dem Narkosemittel Propofol, das Mädchen schläft sofort. Anderthalb Stunden später sieht Claudia Höfner ihre Tochter wieder. „Sina zitterte am ganzen Körper und hat keinen Pieps gemacht," erinnert sie sich. Die Mutter streichelt ihre Tochter, redet mit ihr - keine Reaktion. „Schließlich habe ich sie sogar gekniffen." Nichts. Doch der Anästhesist erklärt der Mutter, dass Sina wach sei und entlässt sie nach Hause. „Ich wurde so erzogen, dass, wenn der Doktor etwas sagt, es so ist," sagt Claudia Höfner heute. Also fuhr sie ihre reglose Tochter nach Hause und legte sie im Wohnzimmer auf das Sofa.

„Die Sina ist jetzt im Himmel und muss da ganz viel arbeiten", erklärt Sinas Bruder Niklas, 2, wenn er nach seiner Schwester gefragt wird. Im Haus der Familie Höfner ist immer Bewegung. Dafür sorgen Sinas vier Geschwister. Allen mussten Claudia und Alexander Höfner erklären, dass Sina nicht mehr kommen wird. „Du überlegst die ganze Zeit einen Satz, der nicht so schockt, aber den gibt es nicht," sagt die Mutter. Letztlich haben sie Mario, 13, und Sebastian, 7, einfach die Wahrheit gesagt, „Sina ist heute Nacht gestorben". Seitdem redet der Älteste gar nicht mehr von seiner Schwester, die er jeden Tag vom Kindergarten abgeholt hatte. „Er geht nur heimlich zum Friedhof", erzählt Alex Höfner.

Sebastian ist in der Schule abgesackt - von seinem Klassenzimmer aus sieht er jeden Tag und jede Stunde auf Sinas Grab. Niklas dagegen tobt durch das Wohnzimmer und glaubt fest an den Engel Sina. Sophia,1, die genauso aussieht wie ihre Schwester, ist zu klein, um zu verstehen, was passiert ist. Vier Kinder. Und doch ist immer und immer wieder die Rede von Sina. Dem Lichtstrahl. Dem Wirbelwind. „Auch wenn die anderen Kinder da sind. Sie machen nicht halb so viel Krach wie die Sina allein", erzählt ihre Mutter lächelnd.

Zurück in den Oktober. Auf dem Sofa ihrer Eltern liegend, bekommt Sina von einer Minute auf die andere über 40 Grad Fieber. Um 18.30 Uhr rufen ihre Eltern den Notarzt, der Antibiotika verschreibt. „Zu diesem Zeitpunkt war sie zwar wach, aber nicht ansprechbar. Wie ein Neugeborenes", beschreibt der Vater den Zustand seiner Tochter. Um halb neun spricht Sina von ihrem blauen Kleid. Deshalb glauben Claudia und Alexander Höfner, dass es ihr besser geht. „Wir haben sie zwischen uns ins Bett gelegt ," so die Mutter, aber plötzlich habe Sina um sich geschlagen. Um 1.26 Uhr bringen Höfners ihre Tochter ins Krankenhaus, „weil ihre Arme und Beine eiskalt waren, der Nacken aber glühte."

„Sina hat sich jeden Morgen gefreut, dass es ein neuer Tag war", erinnert sich ihr Vater Alexander. Diese Freude fehlt jetzt. Im Mai will die Familie in ein anderes Haus ziehen, „weil mein Mann sagt, dass er hier in jeder Ecke Sina sieht", erklärt Claudia Höfner. Ihr gehe es allerdings anders, „ich habe das Gefühl sie hier zurückzulassen". Denn Sina ist in Igersheim beerdigt, das neue Haus steht im drei Kilometer entfernten Bad Mergentheim. Aber der Umzug ist ein weiterer Schritt in Richtung Alltag. „Kurz nach Sinas Tod habe ich meine Kinder vergessen", gesteht die 30-Jährige, „ich habe mir keine Gedanken mehr über sie gemacht." Bis eines Abends Sebastian zu seiner Mutter kam und fragte, warum nur noch über Sina geredet werde. „Weil sie gestorben ist und uns sehr fehlt", antwortete sie. Der Siebenjährige habe sie daraufhin angesehen und gesagt: „Aber Mama, wir sind auch noch da." „Da habe ich gewusst, dass ich wieder anfangen muss, den Alltag zu leben."

Im Krankenhaus wird Sina nach einer kurzen Untersuchung sofort auf die Intensivstation gebracht. Alexander Höfner bricht auf dem Krankenhausflur zusammen, auf allen Vieren schleppt er sich zu seiner Tochter. Die Ärzte kämpfen um Sinas Leben. „Irgendwann kam Alex zu mir und sagte, dass Sina reanimiert wird", erinnert sich die Mutter, „und ich dachte noch, Gott sei Dank, sie lebt." Einige Zeit später kommt der Oberarzt aus dem Behandlungszimmer. „Er hat nichts gesagt. Nur auf den Boden geguckt und mit dem Kopf geschüttelt." Es ist halb vier Uhr morgens. Sina ist tot.

„Wir haben sie so beerdigt, wie Sina eine Beerdigung gefeiert hätte," sagt Alex Höfner. Kein Kirchenchor, sondern Sinas Kindergartengruppe sang ihr Lieblingslied „Gottes Liebe ist wunderbar". Der Pfarrer hielt in Weiß gekleidet die Messe. Und Sina trug ihr blaues Prinzessinnenkleid. 1385 Rosen schmückten den bunt lackierten Sarg, „für jeden Tag, an dem sie auf der Welt war eine". Als der Sarg in die Erde gelassen wurde, stiegen 200 bunte Luftballons auf. Und die Eltern baten die Trauergäste, die Rosen mitzunehmen und sie zu verschenken, „das hat Sina auch immer gemacht. Sie hat Blumen gepflückt und sie wildfremden Menschen geschenkt."

Zurück bleibt die Hoffnung auf Gerechtigkeit. „Sina wurde obduziert, und die Staatsanwaltschaft ließ ein Gutachten erstellen", erklärt Alexander Höfner. Der Verdacht: Anästhesist Jan H.* hat eine Flasche des Narkosemittels Propofol bei mehreren - mindestens aber zwei Patienten eingesetzt. Dabei steht selbst auf dem Etikett, dass das Mittel nur einmalig gebraucht werden darf. Denn wenn Propofol länger als zwölf Stunden geöffnet ist, siedeln sich Bakterien an, die zu einer Blutvergiftung führen. Sinas Todesursache. Auch der Patient, der am 23. Oktober 2002 vor der Dreijährigen in der Zahnarztpraxis behandelt wurde, hatte diese Bakterien im Blut - überlebte aber. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Anästhesisten wegen fahrlässiger Tötung.

„Wir warten noch auf ein zweites Gutachten", sagt Alexander Höfner, aber voraussichtlich beginne der Prozess im Sommer dieses Jahres. Auch gegen die Zahnärztin Brigitte F.* hat das Ehepaar Anzeige wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung erstattet. Die Höfners werden als Nebenkläger mit im Prozesssaal sitzen - während auf dem Friedhof in Igersheim ein Engel über ihre Sina wacht. Ein Engel aus Marmor - „der so aussieht, als sei sie es selbst".

* Namen von der Redaktion geändert

Artikel erschienen am 9. Mär 2003